Liebe Mutter,
sicher fragst du dich, ob ich noch lebe. Zur Beruhigung: Ich lebe paradiesisch! Wo ich bin? Bevor ich diese Frage beantworte und dir mein Abenteuer erzähle, will ich zunächst von dir wissen: Hast du dir schon einmal überlegt, ob es irgendwo auf der Welt besser sein könnte als dort, wo du gerade bist? Ich weiß, du führst ein schönes Leben. Doch genau das ist oft der Grund dafür, dass Fragen wie die, ob man wo anders glücklicher wäre, nicht gestellt werden. Zugegebenermaßen traf das auch auf mich zu – bis ich Lolo, einem Regenwurm, begegnete. Zu Beginn wirkte er verängstigt, so wie er sich hinter einer dicken, fetten und glänzenden Tomate versteckte. Schließlich berichtete er, dass er sich hierher, auf unser Tomatenfeld, verirrt hatte. Ein kleiner Spaziergang endete fern von seiner Heimat. Ich versprach, ihm bei seinem Rückweg zu helfen, doch die Angst wurde nicht weniger und anscheinend waren die Tomaten der Grund dafür. ‚Die Tomaten?‘, fragst du dich jetzt sicher und glaube mir, ich reagierte genauso und es dauerte eine Weile, bis ich Ausdrücke wie ‚Killertomaten‘ verstehen konnte.
Meinem Versprechen folgend, begann die Suche nach Lolos Heimat. Zunächst kämpften wir uns an den Killertomaten vorbei und überquerten das Gurkenfeld. Natürlich sahen wir auch dutzende tote Käfer, was Lolo – im Gegensatz zu mir – ziemlich zu belasten schien: „René, was ist mit den ganzen Insekten passiert?“, fragte er mich schockiert. Ich wollte es ihm erklären, doch plötzlich prasselten große Wassermassen auf uns ein. Lolo dachte, das sei Regen, doch am Geruch erkannte ich sofort die bösen Chemikalien. „Nichts wie weg hier, und vor allem nicht trinken“, rief ich. Wie konnte der Wurm dieses Insektenkillerwasser nicht kennen?
Etwas später bekam ich Pflanzen zu Gesicht, die ich noch nie gesehen hatte. „Du hast noch nie eine Zucchini gesehen?“, fragte Lolo mich amüsiert.
Und dann kamen wir zu einem Schild mit der Aufschrift ‚biologischer Familienbetrieb‘. „Meine Heimat!“, hörte ich Lolo euphorisch sagen und kurz später lernte ich das Gegenteil unseres ‚Giftfeldes‘ kennen. Auch Lolo lebt auf einem Tomatenfeld, doch ‚Killertomaten‘ gibt es hier nicht, auch keine toten Insekten. Ich knabbere den ganzen Tag an den Sträuchern und werde stärker – keine qualvolle Vergiftung. Dementsprechend sind hier viele angeknabberte Tomaten zu finden; sie sind auch nicht so groß und rot und schön wie unsere und die meisten nenne ich ‚Krüppeltomaten‘ – du müsstet ihre Form sehen. Und doch duftet das Feld nach frischer Luft und einfach nach Tomaten. Vor wenigen Tagen sah ich einen Menschen. Er saß zwischen den Sträuchern und seine Hände zupften vorsichtig die Tomaten ab. Giftspritzer gibt es hier nicht.
Jetzt hoffe ich, dass Lolos Eltern dir meine Nachricht übermitteln. Sie haben eine Reise in unsere Heimat unternommen, nachdem Lolo ganz aufgeregt von dem Leben dort erzählt hatte.
Vielleicht begleitest du sie ja auf ihrem Weg zurück!
Deine kleine Raupe René
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