Trotz beständigen leichten Regens fand sich eine hoch interessierte Gemeinde zu Gerds erstem Praxis-Kurs des Jahres ein, um sich mit den Grundlagen des Obstbaumschnittes vertraut zu machen.
Von den Bäumen lernen
Der Schnitt der Obstbäume scheint eines der letzten großen Mysterien im bekannten Teil des Universums zu sein, um das sich zahlreiche Theorien und Legenden ranken. Viele Menschen stehen ratlos vor ihren Bäumen und wissen nicht so recht, was hier zu tun ist. Auch Fachbücher sind manchmal wenig hilfreich. Wenn man verstanden hat, wie Bäume wachsen, welche grundlegenden Muster und Kräfte dort wirksam sind, wird es einfacher. Das war das Ziel des Kurzworkshops am Samstag. Aber auch wenn man diese Grundlagen kennt, bleibt noch viel zu tun, denn dann fängt das Lernen erst richtig an, und zwar durch Beobachten, viel und lange. Das Wuchsbild der Bäume ist ihre Körpersprache. Aus ihr lässt sich viel über ihre Geschichte ablesen. Aber auch viele Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen, wie wir den jeweiligen Baum am besten unterstützen können. Denn darum geht es beim Obstbaumschnitt: wie können wir die Bäume unterstützen, möglichst lange gesund und vital zu bleiben und regelmäßige Ernten an gut ausgereiften, schmackhaften Früchten für uns hervorzubringen. In früheren Jahrhunderten war eine regelmäßige, gute Apfelernte, neben den Tieren, die man bei Bedarf schlachten konnte, eine Art Lebensversicherung. Äpfel und Nüsse galten als Geschenke der Erdgöttin, um, unabhängig von den wechselnden Getreideerträgen, den Winter zu überstehen. Bevor es Schokolade und Lebkuchenherzen gab, brachte der Nikolaus Äpfel und Nüsse und die Weihnachtsbäume wurden damit behängt als Symbol für die Kontinuität des Lebens.
Wie wachsen eigentlich Bäume?
Hier nun die wichtigsten Wuchsgesetze in Kürze. Deren Kenntnis lehrt uns viel über einen naturgemäßen Baumschnitt, das heißt, wir folgen beim Schneiden den Mustern, wie die Bäume von Natur aus wachsen würden. Natürlich gibt es Ausnahmen von diesen Regeln, wie immer in der Natur (die Umlaufbahn des Mondes hat fünf (oder sieben?) Hauptrhythmen und achtundzwanzig Unregelmäßigkeiten!). Naturgesetze sind nicht in Stein gemeißelt oder in Beton gegossen, dennoch gibt es diese Muster und wir können sie nutzen.
Mit Hilfe dieser einfachen Muster sind wir in der Lage, das vegetative und das Fruchtwachstum über lange Zeit im Gleichgewicht zu halten und das Fruchtholz immer wieder zu verjüngen.
Warum müssen Obstbäume geschnitten werden?
Diese Frage wird öfter gestellt und lässt sich einfach beantworten: unsere Obstbäume sind Kulturpflanzen und keine Wildgehölze. Sie sind darauf gezüchtet, möglichst viele, große und gut schmeckende Früchte hervorzubringen und dafür brauchen sie unsere Unterstützung. Solche alten Bäume, wie der Apfel vor unserer Ackerhütte am Weltacker, der wird wahrscheinlich noch aus der Gründungszeit des Parks um 1910 sein, bilden immer mehr Fruchtholz. Die Früchte werden immer mehr und immer kleiner und es findet kaum noch vegetatives Wachstum statt. Irgendwann fangen die Äste an zu brechen unter der Fruchtlast. Die Bäume tragen sich tot. Dieser Verfall kann auch schon sehr früh einsetzen, je nach Sorte und Veredlungsunterlage nach wenigen Jahren. Durch den Schnitt können wir diesen Prozess aufhalten. Ich kenne Apfelbäume, die nachweislich über zweihundert Jahre alt sind. Es bringt keinerlei Vorteile solchen Theorien zu folgen, dass man Obstbäume nicht schneiden müsste. Man spart wenig Arbeit und mit dem Ergebnis, dass die Bäume nach wenigen Jahren absterben. Unsere Obstbäume lange zu erhalten, ist eine schöne Aufgabe. Es macht Spaß, ist tief befriedigend und sie danken es uns mit leckeren Früchten.
Im nächsten Winter gibt es den nächsten Workshop zum Thema Baumschnitt, am 13. April erst einmal einen zur Bodenfruchtbarkeit, ab 15 Uhr bei uns auf dem Weltacker.
Herzliche Grüße an alle Freund*innen unseres Weltackers von Gerd