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Mit Gene Drives endlich wirklich Gott spielen

Save Our Seeds fordert ein weltweites Moratorium für die Anwendung des neuen gentechnischen Verfahrens zur Manipulation von Ökosystemen


Save Our Seeds fordert ein weltweites Moratorium für die Anwendung des neuen gentechnischen Verfahrens zur Manipulation von Ökosystemen

Gene Drives sind die möglicherweise gefährlichste Anwendung der Gentechnik in der Umwelt: Einmal in die Natur freigelassen, setzen gentechnisch veränderte Gene Drive-Organismen unkontrollierbare gentechnische Kettenreaktionen in der Natur in Gang. Mit dieser bislang nur im Labor getesteten Technologie lassen sich wildlebende Tier- und Pflanzenpopulationen ausrotten oder Biowaffen herstellen. Ihre Ausbreitung lässt sich zumindest derzeit weder zeitlich noch räumlich beschränken und hätte unabsehbare Folgen für Umwelt und Ernährungssicherheit. Deshalb fordert Save Our Seeds ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drive-Organismen in die Natur.

Im Jahr 2014 ist es Forschern in den USA erstmals gelungen, das Funktionieren von synthetischen Gene Drives im Labor an Fruchtfliegen zu demonstrieren. Seit seiner ersten Erprobung wurde dieser Effekt im Labor erfolgreich an Hefen, Bakterien, Mücken und Mäusen getestet. Versuche in der Natur haben noch nicht stattgefunden, werden jedoch durch das ‚Target Malaria‘-Projekt in Burkina Faso derzeit schon vorbereitet.

CRISPR/CAS macht’s möglich

Der gentechnische Mechanismus zur Herstellung von synthetischen Gene Drives basiert auf der Fähigkeit des eingesetzten gentechnischen Werkzeugs CRISPR/Cas, spezifische DNA-Sequenzen zu erkennen und die DNA an dieser Stelle zu zerteilen. Mit Hilfe der dadurch ausgelösten zelleigenen Reparaturmechanismen können dabei punktuelle Veränderungen vorgenommen oder neue DNA-Sequenzen ins Erbgut eingefügt werden.

Ein Gene Drive entsteht dann, wenn auch eine Bauanleitung für das CRISPR/Cas-Konstrukt selbst in die DNA einbaut wird. Bei jeder Fortpflanzung des Gene Drive-Organismus wiederholt CRISPR/Cas dann seine Suche und Genveränderung inklusive des Einbaus seiner eigenen Bauanleitung auch in der vom Fortpflanzungspartner eingebrachten DNA. Dieser Vorgang erzwingt, zumindest theoretisch, eine 100-prozentige Vererbung der gentechnisch veränderten Eigenschaft, statt der natürlicherweise bestehenden 50-prozentigen Chance. Diese Umgehung der natürlichen Vererbungsregeln hat zur Folge, dass sich eine neue Eigenschaft nach einigen Generationen in fast allen Individuen einer Population durchsetzt.

Mit Gene Drives beginnt eine neue Ära der Gentechnik

Während bislang die Auskreuzung von gentechnisch veränderten Tieren und Pflanzen mit wilden Artverwandten um jeden Preis verhindert werden sollte, gilt bei Gene Drive-Organismen das Gegenteil: Ihr erklärtes Ziel ist eine möglichst totale Auskreuzung. Ihre Freisetzung löst unkontrollierbare gentechnische Kettenreaktionen in der Natur aus, deren Reichweite kaum zu begrenzen ist.

Mit Gene Drives lassen sich unliebsame Tiere und Pflanzen ausrotten.

Die durch Gene Drives ermöglichte Turbo-Vererbung von Genen, kann auch dazu genutzt werden, Unfruchtbarkeit zu verbreiten oder nur noch männliche Nachkommen zu erzeugen. Diese Möglichkeit hat unterschiedlichste Hoffnungen und Anwendungsphantasien geweckt. Die Bandbreite der Forschungsvorhaben, die Art der GeldgeberInnen und die von einem der Gene Drive-Entwickler, Kevin Esvelt, erstellte Patentschrift,[1] geben einen ersten Überblick.

Gene Drives als neue Wundermittel der Agrarindustrie?

Das in Zukunft größte Anwendungsgebiet könnte in der Landwirtschaft liegen. Vor allem US-amerikanische ForscherInnen und Anbau-Vereinigungen hoffen, in Zukunft mit dieser Technologie Insekten wie die Kirschessigfliege, Blattläuse oder den Mehlkäfer dezimieren zu können. Auch die Überwindung von Herbizid- und Pestizidresistenzen in ertragsmindernden Beikräutern oder Insekten steht auf der Wunschliste sowie die räumliche und zeitliche Steuerung von Bestäubungsinsekten. All diese Anwendungen würden die industrielle Landwirtschaft weiter zementieren und wirklich nachhaltige Alternativen, wie den Ökolandbau und agrarökologische Ansätze in der Landwirtschaft unterminieren.

Gene Drives als Biowaffen

Gene Drives könnten als Biowaffen gegen Pflanzen, Tiere und Menschen eingesetzt werden und dabei auch nur auf bestimmte Ethnien abzielen. Das Forschungsinstitut des US-amerikanischen Militärs (DARPA) ist einer der größten Finanziers der Gene Drive-Forschung.

Das bislang am weitesten fortgeschrittene Projekt zur Nutzung von Gene Drives wird von der Bill & Melinda Gates Stiftung finanziert. ‚Target Malaria‘ hat das Ziel, mit Gene Drives die malariaübertragende Anopheles-Mücke auszurotten. In das Projekt involvierte ForscherInnen hoffen, in 5 bis 10 Jahren Gene Drive-Mücken in Malariagebieten wie Burkina Faso im Freiland testen zu können. Die möglichen Risiken dieses Versuchs an Mensch und Natur sind bislang weder abzusehen, noch ansatzweise ausreichend erforscht.

Mit Gene Drives invasive Arten stoppen?

Die Naturschutzorganisation ‚Island Conservation‘ hingegen hofft, mit Gene Drives endlich eine Handhabe gegen invasive Nagetiere gefunden zu haben, welche den Artenreichtum auf Inseln bedrohen, auf die sie eingeschleppt wurden. Auch in Neuseeland wird die Anwendung der Technologie innerhalb des nationalen Artenschutzprogramms erörtert. Angesichts dessen warnen sogar die Gene Drive-Erfinder vor vorschnellen Freisetzungen und der Anwendung von Gene Drive-Organismen im Naturschutz. Gene Drive-Systeme seien höchst invasiv und es mangele aktuell an Kontrollmechanismen, warnt selbst Kevin Esvelt.[2] Ein einziges Versuchstier, das aus einem Forschungslabor entkommt, könnte sich weltweit verbreiten, seine Artgenossen ausrotten oder gentechnisch verändern – mit unabsehbaren ökologischen Folgen.

Mangels Kontrollmöglichkeiten und Rückholbarkeit sind Gene Drive-Organismen nicht vereinbar mit dem Vorsorgeprinzip, das die Grundlage für weltweites, europäisches und auch deutsches Naturschutzrecht ist. Die Idee, Gene Drive-Organismen für den Naturschutz zu nutzen, ist nun jedoch in der Welt und stellt die Naturschutzszene vor grundsätzliche Fragen. Sie werden seit einigen Jahren in der Weltnaturschutzorganisation IUCN kontrovers diskutiert.

Gene Drives auf der globalen Agenda

Auch die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen (CBD) berät das Thema bereits seit Jahren. Auf ihrer Vertragsstaatenkonferenz im November 2018 gehörten Gene Drives zu den umstrittensten Themen. Angesichts nicht zu überwindender Meinungsverschiedenheiten konnten sich die Delegierten auf der 14. Vertragsstaatenkonferenz (COP 14) nicht auf ein globales Moratorium einigen. Die letztendlich im Beschluss geforderte Anwendung des Vorsorgeprinzips, die vorherige Erstellung von Risikobewertungen sowie die Berücksichtigung und Einbindung „möglicherweise betroffener“ lokaler und indigener Gemeinschaften ist zu begrüßen. Die nur für diese Gruppen geforderte, vorherige informierte Zustimmung (Prior Informed Consent) müsste jedoch für alle möglicherweise betroffenen Menschen und Nationen für jede einzelne Anwendungsform verbindlich vorgeschrieben werden.

Kampagne für ein Gene Drive-Moratorium

Save Our Seeds und andere NGOs fordern ein weltweites Moratorium für die Freisetzung von Gene Drives. Denn Gene Drives betreffen grundsätzlich die ganze Menschheit. Einmal in die Natur freigesetzte Gene Drive-Organismen setzen gentechnische Kettenreaktionen in der Natur in Gang, die nicht mehr der menschlichen Kontrolle unterliegen. Mit Gene Drives wird die Natur zum Gentechniklabor, denn das gentechnische Werkzeug CRISPR/Cas, das bei jeder Fortpflanzung mitvererbt wird, funktioniert längst nicht so präzise, wie anfänglich erhofft. Unbeabsichtigte ökologische Folgen, durch entstehende Resistenzen und Mutationen, durch die Auskreuzung in verwandte Arten oder durch unerwartete Effekte auf Nicht-Zielarten, wären voraussichtlich irreversibel. Das widerspricht den Prinzipien von Vorsorge und Rückholbarkeit. Ihr zusätzliches Potenzial, aus Leichtsinn oder aus ökonomischen Interessen missbraucht oder als Biowaffen genutzt zu werden, macht Gene Drives zur bislang gefährlichsten Anwendung von Gentechnik in der Umwelt.

Save Our Seeds will eine breite, kritische Diskussion über diese Technik in die Gesellschaft tragen und EntscheidungsträgerInnen sowie WissenschaftlerInnen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene dafür gewinnen, sich für einen Anwendungsstopp dieser Technologie in der Natur einzusetzen, bevor die ersten Exemplare ausgesetzt werden. Gleichzeitig werben wir für einen respektvollen, agrarökologischen Umgang mit der Natur, der die Vielfalt erhält und nutzbar macht – anstatt einzelne Arten zu bekriegen oder für kurzfristige Zwecke auf solch totalitäre Weise zu manipulieren.

Wer diese Kampagne unterstützen will, kann auf www.saveourseeds.de unsere Petition unterschreiben und sich über unseren Aktionsnewsletter über weitere Mitmach-Aktionen und Fortschritte der Kampagne informieren lassen.

Mareike Imken

Die Autorin ist Campaignerin für gentechnikfreie Landwirtschaft und Saatgutvielfalt bei Save our Seeds, einer Initiative der Zukunftsstiftung Landwirtschaft.

Save Our Seeds fordert ein weltweites Moratorium für die Anwendung des neuen gentechnischen Verfahrens zur Manipulation von Ökosystemen

Dieser Artikel erschien im Rundbrief des Forums für Umwelt und Entwicklung