Sowohl der Chemie- als auch der Friedensnobelpreis haben in diesem Jahr einiges mit nachhaltiger Ernährung zu tun. Sie machen nachdenklich und regen unseren Weltacker-Strategen Benny Haerlin zu dem folgenden Kommentar an. Haben wirklich sie den größten Nutzen für die Menschheit erbracht, wie Alfred Nobel forderte?
Der Nobelpreis für Chemie 2020 geht an die beiden Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier für die Entwicklung der neuen Gentechnikmethode CRISPR/Cas vor knapp zehn Jahren. Hat es zunächst der Klärung des erbitterten Patentstreites bedurft, den die beiden mit dem Forscher Feng Zhang geführt und erst im letzten Jahr einigermaßen gewonnen hatten? Gentechnik-Skeptiker*innen sind über den Preis nicht begeistert. Ist es wirklich die „wichtigste chemische Entdeckung oder Verbesserung“, die „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ hat, wie der Stifter Alfred Nobel forderte? Beweise gibt es dafür bisher nicht. Den Versprechen Glauben zu schenken, die den bis heute nicht eingelösten Versprechen der “alten” Gentechnik vor 30 Jahren aufs Haar gleichen, erscheint zumindest fahrlässig. Helfen uns Wunschdenken und die Hoffnung auf technische Lösungen wirklich weiter?
Einen eigenen Nobelpreis für Biologie gibt es nicht. Die Entdeckung der Doppelhelix unserer DNA brachte 1962 James Watson und Francis Crick noch den Nobelpreis für Medizin ein. Für die erste gentechnische Manipulation eines Organismus erhielten 1980 Paul Berg, Walter Gilbert und Frederick Sanger dann den Nobelpreis für Chemie. Seither wurden immer mehr Chemie-Nobelpreise für im wesentlichen biologische Entdeckungen und Verfahren verliehen.
Welche Risiken und Nebenwirkungen die vom Nobelpreis gekrönten Erfindungen und Entdeckungen haben, stand – ganz in der Tradition des geläuterten Kriegsgewinnlers Alfred Nobel selbst – seit jeher nicht zur Debatte. Natürlich gab es einen Nobelpreis für die Spaltung des Atoms. Für die Synthese von Ammoniak in Hochdruckverfahren erhielten sowohl der Giftgas-Entwickler Fritz Haber 1919 als auch 1931 der Hitler-Finanzier und IG Farben Chef Carl Bosch den Preis. Den beiden ging es um Sprengstoff, später um Mineraldünger, dessen Wirkungen ebenso wie die von DDT (auch hierfür gab es 1948 einen Nobelpreis) heute vornehmlich als Schaden diskutiert wird.
Insofern mag es als Fortschritt gewertet werden, dass Emmanuelle Charpentier selbst immerhin in Bezug auf die Anwendung ihrer Erfindung am Menschen zur Vorsicht mahnt; vielleicht ein Teil des ganz zweifelsfreien Fortschritts, den die leider so seltene Verleihung des Chemie-Preises an zwei Frauen bedeutet. Er könnte ausgebaut werden, wenn sie sich noch etwas engagierter in die Diskussion sowohl über die möglichen Folgen der CRISPR/Cas Anwendungen als über die Unwägbarkeiten und Risiken, die damit verbunden sind, einbrächte.
Paul Berg organisierte 1975 eine bemerkenswerte Wissenschaftskonferenz über mögliche Folgen und die erforderliche Regulierung seiner Erfindung. Stünde ähnliches den Nobelpreisträgerinnen nicht ebenfalls gut zu Gesicht? Eine der wohl gefährlichsten Anwendungen von CRISPR/Cas, sogenannte Gene Drives, mit denen auch wild lebende Organismen unwiederbringlich verändert oder gar ausgerottet werden können, schreit derzeit förmlich danach, dass gerade auch Wissenschaftler*innen sich damit kritisch auseinandersetzen.
Nicht an Greta Thunberg oder Fridays for Future, sondern an eine eher behäbige UN Organisation, traditionell unter US-amerikanischer Führung und Kontrolle, geht der Friedensnobelpreis in diesem Jahr. Das World Food Programme kennen die meisten von uns als „die mit den Säcken und Lastern“ voller Reis, Mehl oder Mais, die jährlich Millionen Menschen vor schlimmster Unterernährung bewahren.
Seinen 17.000 Beschäftigten von Herzen zu gratulieren ist eine Sache. Danach zu fragen weshalb derartige Notfallhilfen hauptsächlich wegen kriegerischer Auseinandersetzungen nötig werden eine andere. Eine dritte Sache ist es, aus diesem Anlass danach zu fragen weshalb die Zahl der Hungernden seit Jahren wieder ansteigt obwohl die globale Landwirtschaft doch vor allem an Überproduktion und die Menschheit zunehmend an Überernährung leidet.
Keine Frage, das World Food Programme hat im vergangenen Jahrzehnt dazugelernt. Aus einem in den 60er Jahren gegründeten Vehikel des kalten Krieges (bis heute bestreiten die Nato-Mitglieder den Löwenanteil seines Budgets) und des subventionierten Abbaus von US-Agrarüberschüssen, ist eine nachdenklichere Institution geworden.
Die Beschaffung der Nahrungsmittelhilfe in der Region statt auf dem Weltmarkt ist heute die Regel. Das hilft ruinöse Schäden für die lokale Landwirtschaft zu vermeiden. Mit Geld zum Kauf von Lebensmitteln vor Ort statt mit Säcken aus der Luft gegen den Hunger vorzugehen ist echter Fortschritt.
Doch dafür den Friedensnobelpreis? Schwer zu erkennen jedenfalls, dass ausgerechnet das WFP im vergangenen Jahr „am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat“, wie Nobel es in seinem Testament gefordert hatte.
Das WFP macht diese Welt so wenig zu einem friedlicheren Ort wie das Rote Kreuz – es begleitet Gewalt wo immer sie auftritt und lindert ihre Folgen; dieser Tage vor allem im Jemen, der von einem fürchterlichen Stellvertreterkrieg zerstört wird, in Syrien und im Sudan. Derzeit wird das WFP auch an einigen COVID-19 Fronten aktiv, an denen das Virus gerade in den Städten den Ärmsten die Mittel zum Erwerb von Grundnahrungsmitteln nimmt. Das könnte bei einer weiteren Verschärfung der Krise eine Herkules-Aufgabe werden, für die das Programm alle Unterstützung gebrauchen kann.
P.S.
Immerhin: Donald Trump hat den Preis nicht bekommen, obwohl er doch (im Gegensatz zum Friedensnobelpreisträger Barack Obama) eine ganze Amtszeit lang keinen Krieg begonnen hat und auch damit, like it or not, eine Ausnahmeerscheinung unter amerikanischen Präsidenten ist.
P.P.S.
Eine bemerkenswerte Konversation zwischen Greta Thunberg und dem Leiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Johan Rockström und “Erfinder” der planetaren Grenzen über Nachhaltigkeit,, globale Krisen in Zeiten von COVID und die Verantwortung der Wissenschaft hat das Nobel-Kommittee übrigens hier veröffentlicht: