Der Boden steht im Fokus: als Lebensmittelgrundlage, als Rohstoff, als Archiv, als bebaubare Fläche, als Spekulationsobjekt und neuerdings als Klimaretter.
Das ist nicht verwunderlich, denn schon kleine Veränderungen im globalen Humushaushalt der Böden können die atmosphärische CO2-Konzentration beeinflussen. Je höher der Gehalt an organischem Kohlenstoff im Boden wird, desto mehr trägt er zur Minderung von CO2 in der Atmosphäre bei. Berechnungen ergeben bei einem Anstieg des organischen Kohlenstoffvorrats um drei Prozent in den ersten 30 Zentimetern aller Ackerflächen in Deutschland eine Minderung von 77 Millionen Tonnen CO2. Dies entspricht knapp der Hälfte aller CO2-Emission der globalen Landwirtschaft von 2017. Kein Wunder also, dass Böden in aller Munde sind, wenn es um die aktuellen Klimafragen geht.
Und eine dieser Klimafragen ist: Wie sorgen wir dafür, dass der Kohlenstoff in den Boden und nicht in die Luft geht?
Hier kommen Humuszertifikate ins Spiel. Weltweit haben sich Unternehmen gegründet, die neuerdings Zertifikate anbieten und über die eingenommenen Gelder den Aufbau von Humus befördern wollen.
Und das hört sich im ersten Moment durchaus sinnvoll, denn egal ob Firma oder Privatperson, wenn die Ackerböden der Welt mehr Humus enthalten, nützt das allen – in Form von sauberem Wasser, nahrhaften Lebensmittel, guter Luft und besserem Klima.
Nur gibt es da einiges zu bedenken: Wie messen wir überhaupt den Kohlenstoff in den Böden und wie können wir sicher sagen, wie viel Kohlenstoff ein Hektar Ackerboden wirklich speichert? Dazu müsste es erst einmal ein standardisiertes Verfahren geben, um eine Vergleichbarkeit zu schaffen. Und falls wir dann wissen sollten, wie viel Humus im Boden ist, ist der Weg zum weiteren Humusaufbau noch weit. Denn Humusaufbau, also die Speicherung von Kohlenstoff im Boden, hat Grenzen. Eine Erhöhung des Kohlenstoffgehalts um drei Prozent hört sich im ersten Moment wenig an. Je nach Bewirtschaftung kann es jedoch Jahre dauern, bis sich wenige Prozent an Humus aufgebaut haben. Nicht nur dauert es seine Zeit, bis Humus entsteht, ab einem gewissen Zeitpunkt, der durch die gegebenen Standortbedingungen beeinflusst wird, ist eine Sättigung erreicht: der Kohlenstoffspeicher ist voll. Wenn nun die Maßnahmen, die zu einer Steigerung des Kohlenstoffgehalts geführt haben, wieder ausgesetzt werden, ist der Prozess des Aufbaus ebenso reversibel. Der Speicher kann also wieder geleert werden.
Bei der Zertifikatentwicklung muss daher vom Ende gedacht werden. Wie wird sichergestellt, dass die Umstellung, die zum Humusaufbau führt, notwendigerweise auf ewig gesichert ist? Wie wird also verhindert, dass ein Zertifikatehandelssystem erzeugt wird, das darauf basiert, dass der Speicher gefüllt, geleert und wieder gefüllt wird? Und wie wird der Ausgangszustand der Böden, vor Beginn der Maßnahmen zum Humusaufbau, bewertet? Denn auch eine Steigerung von mehr als drei Prozent ist bei vielen Böden möglich. Dass manche ackerbaulich genutzten Böden ein hohes Potential haben, ihren Kohlenstoffgehalt rapide zu steigern, liegt auch darin begründet, dass die Böden sehr lange sehr einseitig bewirtschaftet wurden und damit Humus, also Kohlenstoff, über die Zeit verloren haben.
Und da gibt es noch eine ganz zentrale Frage: Wem gehört der Kohlenstoff nach dem Zertifikatverkauf?
Angenommen Unternehmen bezahlen Landwirt*innen über einen Zertifikatehandel dafür, dass der Kohlenstoff im Boden bleibt und nicht als Treibhausgas in die Atmosphäre geht, und verrechnen diese Speicherung auf ihrem nebulösen Weg zur Klimaneutralität mit ihren Emissionen, haben sie dann einen Besitzanspruch auf diesen Kohlenstoff? Anders gefragt: Können Unternehmen das Geld von den Landwirt*innen zurückverlangen, wenn der Humusgehalt zum Beispiel aufgrund von Wetter- und Klimaeinflüssen sinkt statt steigt?
Genauso stellt sich die Frage, ob der Handel mit Humuszertifikaten dazu führt, dass heruntergewirtschaftete Ackerflächen einfach aus der Nutzung genommen werden und besser an den Zertifikaten verdient wird als an möglichen zukunftsfähigen Anbausysteme auf den Flächen. Also frei nach dem Motto: Warum nicht einfach die Zeit und die Kohlenstoffspeicherung für sich arbeiten lassen?
Diese Fragen werden nicht nur in Bezug auf Humuszertifikate immer lauter gestellt, sondern auch auf der gesamten Ebene der Emissionskompensation und der damit angestrebten Klimaneutralität.
Organisationen von Indigenen weltweit forderten bei der vergangenen Weltklimakonferenz in Glasgow, dass zuallererst Emissionen im Globalen Norden drastisch verringert werden müssen und nicht im Globalen Süden kompensiert werden sollen. Denn dies sei nur eine weitere Form des Kolonialismus, bei der Regenwald für klimaverschmutzende Unternehmen erhalten werden soll. Die Frage, wem gehört der Kohlenstoff im Boden kann also auch in Bezug auf den Kohlenstoff in den Wäldern und den Ozeanen gestellt werden. Oder zugespitzt: Steht unsere Luft zum Verkauf?
Artikel von Presseportal: Klimakonferenz COP 26 in Glasgow: Indigene fordern Klimagerechtigkeit
Mit dieser großen Frage im Hinterkopf, nun zurück zu den Böden. Ein Zertifikatehandelssystem, dass nur auf vermeintlich messbare Kohlenstoffgehalte in Böden basiert, birgt vor allem Risiken.
Um zukunftsfähige, landwirtschaftliche System aufzubauen, müssen wir wegkommen von einer alleinigen Quantifizierung der Kohlenstoffspeicherung und auf ein maßnahmenfinanziertes System hinarbeiten.
Um bodenbürtigen Kohlenstoff zu erhalten oder anzureichern, bedarf es einer umfassenden, langfristigen Umstellung des landwirtschaftlichen Systems, also eines wirklichen Kraftakts, der Zeit und Ressourcen benötigt und weltweit Millionen von Landwirt*innen involviert. Wir benötigen somit ein Finanzierungssystem, durch das standortsangepasste Maßnahmen und Investitionen gefördert werden, damit dieser Kraftakt gelingen kann. Die neue Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU hat den großen Schritt in diese Richtung für weitere sieben Jahre umfänglich verfehlt. Es bleibt zu hoffen, dass nun nicht unausgereifte Zertifikate für diese Fehlentwicklung herhalten müssen. Denn aktuell liegt kein Humuszertifikat ohne Nebenwirkungen in der Schublade, das Landwirt*innen die zügige Umsetzung der dringend benötigten Maßnahmen für Bodenschutz, Klimaschutz und Artenschutz ermöglichen könnte.
Der Berliner Weltacker fordert daher zusammen mit der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und weiteren 23 Organisationen: Keine Klima-Tricks mit Humus!
Pressemitteilung der EFA: