Um diese Kernfrage drehte sich unser zweiter Ernährungsstrategie-Erlebnisabend im Oktober. Eingeladen waren dazu Johanna Meister vom EIP-Projekt “Regionales Bio-Gemüse aus Brandenburg”, der Landwirt Heinz-Günther Klass sowie drei Abgeordnete der SPD. Die Bundesebene war durch Sylvia Lehmann vertreten, Berlin durch Tamara Lüdke und Brandenburg durch Sascha Philipp, der gleichzeitig in der Rolle des Landwirts auftrat.
Mindestens genauso wichtig waren aber auch die ungefähr dreißig Teilnehmer*innen im Publikum. Dadurch waren (außer Vertreter*innen des Handels) alle wichtigen Teile der Ernährungskette vertreten. Fokus des Abends sollten die Potentiale und Herausforderungen des Bio-Gemüseanbaus in Brandenburg sein.
Die aktuelle Situation
Zu Beginn der Veranstaltung führte uns Johanna Meister in die Brandenburger Marktstrukturen des Bio-Gemüse Handels ein. Klar wurde: Aktuell ist dieser Markt sehr klein, obwohl die Nachfrage in Berlin sehr groß ist. Verglichen mit anderen Bundesländern wird in Brandenburg sehr wenig Bio-Gemüse angebaut. Doch woran liegt das? Ist der Boden so schlecht, dass einfach gar nichts wachsen kann? Die beiden Landwirte Sascha Philipp und Heinz-Günther Klass verneinten dies. Ja, Brandenburg hat definitiv keine Idealbedingungen – die Böden sind sehr Sandig, der Niederschlag sehr gering – aber die Möglichkeiten für mehr Bio-Gemüse Anbau wären da. Diese ungenutzten Potentiale müssen wir ausschöpfen, wenn wir eine regionalere Ernährung in Berlin wollen. Schon in den Anfänglichen Einführungen wurde klar, wie komplex die Zusammenhänge zwischen Produzent*innen, Handel und Verbraucher*innen sind und dass das Verständnis zwischen den Berliner Konsumenten und den Brandenburger Produzenten eine der wichtigsten Baustellen sein könnte. Hierfür machte der Landwirt Heinz-Günther Klass direkt einen ersten Schritt, indem er uns in die alltäglichen Problematiken seiner Arbeit einführte. Er berichtete von dem Kampf, den die großen Handelskonzernen um Preise führen und der enormen Druck auf die Landwirtschaft ausübt. Als Hof mit 150 Hektar Land und über 1000 Eier pro Tag ist sein Betrieb noch immer viel zu klein, um von Interesse für die größeren Berliner Einzelhandelsbetriebe zu sein. Braucht es hier ein Umdenken und andere Strukturen?
Die Suche nach Lösungen
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion begaben sich die Diskussionsteilnehmenden mit uns auf die schwierige Suche nach Ansätzen, die regionale und ökologische Versorgung auszubauen. Für eine adäquate Repräsentation der Verbraucher*innen waren Jamaine und Mika, die gerade ein FÖJ bei uns machen, zuvor durch die Straßen Berlins gezogen und haben spannende Interviews über die Kaufbereitschaft für und das Interesse an nachhaltiger Ernährung geführt. Schließlich galt es zunächst zu klären, ob Berliner*innen überhaupt an regionaler und ökologischer Ernährung in großem Stil interessiert sind?
Das Ergebnis: Ja, sind sie. Vielen mangelt es aber an konkretem Wissen, gut verfügbaren Angeboten und schlicht an dem notwendigen Geld für eine überwiegend regionale und ökologische Ernährung. Mit diesen Erkenntnissen gingen wir in die Podiumsdiskussion, um hoffentlich Lösungsansätze für die Probleme finden zu können.
Zu Beginn ging es speziell um die Kommunikation zwischen den Landesregierungen Berlins und Brandenburgs, ohne welche eine wirkliche Ernährungswende kaum zu bewirken ist. Tamara Lüdke und Sascha Philipp legten hier Wert darauf, die Fortschritte hervorzuheben, welche die beiden Regierungen in ihrer Kommunikation gemacht haben. Wie es aber so oft ist, muss trotzdem noch viel geschehen, damit hier das Ziel einer nahtlosen Vernetzung der beiden, voneinander abhängigen Landesregierungen erreicht werden kann. Generell gilt: Bei der Transformation von Ernährungssystemen müssen nicht nur benachbarte Landesregierungen zusammenarbeiten, sondern zahlreiche Akteur*innen. Ernährung als multidimensionaler Bereich braucht also nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch Gesundheit, Soziales, Umwelt, Stadtplanung und vieles mehr – regional, national und international. Aus diesem Grund ist auch die Frage nach der Verantwortung nicht einfach zu beantworten. Trotz dessen muss sie aber im Zentrum der Debatte stehen. Wer also trägt die Verantwortung für die Ernährungswende in Berlin und Brandenburg?”. Ist es die Politik, welche die Regeln und Gesetze vorschreibt und so die regionale Ernährung gesetzlich festschreiben könnten? Sind es die Produzent*innen, welche mehr regional und saisonal anbauen sollten? Ist es der Handel, welcher regionale und saisonale Produkte günstiger anbieten und besser bewerben sollte als klimaschädliche Importe? Oder stehen etwa die Konsument*innen in der Verantwortung, welche “einfach zum Regionalen greifen sollten”?
Die Frage nach der Verantwortung: Ein Streitpunkt
Im Laufe der Diskussion stellten sich hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Positionen heraus: Die der anwesenden Politiker*innen, welche sich mehr Interesse und Eigenverantwortung der Berliner Konsument*innen wünschten und argumentierten, dass in einer kapitalistischen Marktwirtschaft nun einmal die Produkte angeboten werden, für welche eine Nachfrage besteht. Somit könne die Politik auch nicht vorschreiben, mehr regionale Produkte anzubieten, solange diese nicht auch gekauft werden. Auf der anderen Seite stand die von großen Teilen des Publikums vertretene Meinung, dass die Politik in der Verantwortung stehe, den großen Konzernen mehr Nachhaltigkeitsbewusstsein vorzuschreiben und dem Preisdruck auf die Landwirtschaft Einhalt zu bieten, damit diese in der Lage sind, auch nachhaltigen Anbau kostendeckend betreiben zu können. Es wurde aber auch deutlich, dass die Preise für regionale Lebensmittel eigentlich noch steigen müssten, damit auch die Landwirt*innen von ihrer Arbeit Leben können – das Problem sind also, neben den beschränkten finanziellen Mitteln der Konsument*innen, die zu billigen importierten Lebensmittel. Lebensmittelimporte werden nämlich enorm subventioniert, regionale hingegen kaum. So wurde auch von Verbraucher*innen die Forderung laut, die Subvention importierter Lebensmittel zu beschränken und stattdessen regionale und saisonale Produkte zu fördern. Warum sollte ein Apfel aus Neuseeland auch günstiger sein als ein Apfel aus Brandenburg?
Solange dies aber die aktuelle Lage in unseren Supermärkten ist, ist es auch kein Wunder, dass viele Menschen eher zum Importprodukt greifen. Hier muss eine für alle Seiten akzeptable Lösung gefunden werden: Landwirt*innen müssen von ihrer Arbeit leben können, aber gleichzeitig muss eine gesunde und nachhaltige Ernährung für alle Menschen ungeachtet ihres Einkommens bezahlbar sein. Hierfür bedarf es grundlegender Änderungen in unserem Ernährungssystem, beispielsweise bei den bereits erwähnten Subventionen oder auch bei der Frage, wer vom Lebensmittelhandel profitieren darf. Warum können einige Wenige durch den Einzelhandel Milliarden an Gewinnen machen, während viele andere sich kaum oder keine gesunde und nachhaltige Ernährung leisten können?
Die Grundsatzdiskussion über die Verantwortung zog sich über den gesamten Abend, mit vielen interessanten Beiträgen und Argumenten aller Seiten, wobei es sich als schwierig herausstellte, sich auf konkrete Punkte zu einigen.
Fazit
Ein gemeinsamer Nenner fand sich aber dennoch: Wir stehen vor einer Menge Arbeit und alle müssen mitanpacken. Wie genau die Verantwortung zu verteilen ist, konnte zwar nicht final beantwortet werden, sicher ist jedoch, dass ohne Befähigung der Verbraucher*innen, letztendlich die „richtige“ Entscheidung im Supermarkt zu treffen, dies auch nicht wirklich erwartet werden kann. Dabei spielen insbesondere drei Aspekte eine zentrale Rolle: Das Angebot zur Nachfrage zu schaffen, die Bürger*innen mit den nötigen finanziellen Ressourcen auszustatten und die Ernährungsbildung. Denn ohne Wissen kann nicht entschieden werden.
Insofern stimmt es, dass letztendlich die Verbraucher*innen entscheiden müssen, doch die Befähigung dazu, ist Aufgabe der Politik. Und um das zu lösen, hilft wohl nur ein Blick über den Tellerrand. Denn die Schaffung gerechter und bezahlbarer Preise auf der einen und fairer und attraktiver Löhne für die harte Arbeit aller Beteiligten auf der anderen Seite ist eine Aufgabe, welche kaum bis gar nicht in unserem aktuellen, profitorientierten System zu lösen ist.
Welche Rolle der Handel einnehmen kann, insbesondere durch Marketing, wollen wir beim nächsten Erlebnisabend, am 24.11., diskutieren. Kommt gerne wieder vorbei und diskutiert mit!
Dieses Projekt wird von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz gefördert.