Ackerfunk! versorgt Euch ab sofort mit den neuesten Informationen direkt von unserem 2000 m² Acker in den Havelmathen. Gestern haben wir die ersten Jungpflanzen ausgesetzt. Mit dabei waren junge Salatpflanzen und die ersten Kohlrabi von der Bio-Gärtnerei Watzkendorf. Außerdem haben wir die ersten Ackerbohnen als Jungpflanzen auf unserem Raritätenacker gepflanzt. Auf der circa 200 m² großen Fläche pflanzen und säen wir vor allem alte, vergessene Gemüsesorten, Kräuter, Hülsenfrüchte und Getreidesorten an.
Die Jungpflanzen werden in Zusammenarbeit mit der Jugendschule am Schlänitzsee im eigenen Gewächshaus vorgezogen. Im Moment sind Kräuter, Salate, Gurken, Tomaten, Kürbis und Kohlpflanzen in der Anzucht.
Die speziellen Bedürfnisse junger Menschen in der schwierigen Übergangsphase von der Kindheit zur Jugend (11-16 Jahre) sollen hier bei konkreten Arbeiten in der Natur und in herausfordernden Projekten besser befriedigt werden als im herkömmlichen Schulunterricht. Methoden des selbst gesteuerten, inspirierten und partizipativen Lernens – Projekte, Praktika, Exkursionen, Schüleraustausche und die dauerhafte Einbeziehung von Experten in den Unterricht – sind die didaktisch-methodischen Grundelemente der heutigen Jugendschule.
Ein 3.6 ha große Gelände liegt 12 km entfernt und in idyllischer Lage am Schlänitzsee. Es ist umgeben von Feldern, großen Pappeln und einer Laubensiedung. Viele kleine Bungalows und ein großes Haupthaus verfallen seit 1989. Heute liegt das Grundstück im Landschaftsschutzgebiet und ist zur landwirtschaftlichen Nutzung freigegeben. Die „Pädagogik des Ortes“ ist an eine konsequente altersspezifische Didaktik gebunden ist. Es geht vor allem darum, eigene und echte Fragen zu stellen. Diese ergeben sich aus den konkreten Tätigkeiten, an den Herausforderungen und aus dem Zusammenhang. Erfahrungen und Wahrnehmung sind notwendig um zu einem vertieften Wissen zu kommen.
Ebenso bedeutsam sind die primären Erfahrungen, besonders im Handwerk. Sie bringen die Jugendlichen mit der Kulturgeschichtegeschichte der Menschheit in Kontakt und ermöglichen ein Verständnis vom Verlauf der historischen Entwicklung.Themenprojekte entstehen aus Notwendigkeiten, nicht aus einem von außen angetragenen Curriculum. Tätigkeiten sollen als notwendig und sinnvoll erkannt werden. In der Auseinandersetzung mit den Dingen entstehen dann echte Fragen.
(Beispiel: Wenn man Wasser braucht, kann man echte Fragen zum Brunnenbau stellen)
Der Lebensraum wird zum Lernraum, der nur in sorgfältig abgestimmten Tätigkeiten die Bedürfnisse der Gemeinschaft befriedigen kann. Übung, Bewegung und der handwerkliche Umgang mit den Dingen sind Grundlage für eine fundierte kognitive Arbeit und für eine gesunde Entwicklung. So können Mut, Angstfreiheit und innere Sicherheit entstehen. Die eigenen Bedürfnisse an denen der anderen zu spiegeln und in einen Abwägungs- und Auseinandersetzungsprozess zu kommen, ist ernsthafte und gewollte Basis aller exemplarischen Arbeitsprozesse. Genaue Absprachen zu treffen, die auf Beobachtungen und der Reflexion des konkreten Tuns beruhen, ist Ausgangspunkt für eine authentische Kommunikation.
Die Projektzeiten auf dem Land werden konsequent von außerschulischen Experten angeleitet. Ein Landwirt und ein Bootsbauer sind dauerhaft vor Ort und haben die Notwendigkeiten sowie die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten im Blick. Die Lehrkräfte der Schule haben die Aufgabe, zwischen den konkreten Projekten und den verbindlichen Lehrplaninhalten Bezüge herzustellen und diese mit den Jugendlichen zu erarbeiten. Zunehmend wächst bei allen Beteiligten ein Verständnis für die praktischen Arbeiten außerhalb der Schule und ihre Verbindungen mit den innerschulischen Anforderungen. Durch die Universität Bielefeld wird eine wissenschaftliche Begleitforschung zur Evaluation des Projekts durchgeführt. Darüber hinaus wird die Jugendschule seit Beginn umfassend schriftlich, fotografisch und filmisch dokumentiert.
Die Jugendschule wird ganzjährig betrieben. 90 Jugendliche und ihre Lehrer und Lehrerinnen wechseln sich mit ihren Tätigkeiten auf dem Freigelände und in den Schulräumen ab. Je nach Dauer und Zeitpunkt eines selbst gewählten Projektes arbeitet jede Gruppen ca. 7-8 Wochen im Verlauf eines Schuljahrs am Schlänitzsee. So sind in der Regel zwei Projektgruppen „outdoor“ und sechs Gruppen in der Schule oder auf Exkursionen.
Die Arbeitsschwerpunkte der Jugendlichen liegen in den Bereichen Landwirtschaft – Landbaukultur, Landschaftsschutz, mobiles Bauen (Bauwagen, Boote, mobile Küche), Verpflegung (Kochen), Betreuung von Gästen (Führungen und Verpflegung) und kulturelle Ereignisse ( Theater, Musik, „Seegespräche“). Tierhaltung und dafür notwendige Stallbauten sind geplant. Dazu bedarf es jeweils konkreter Genehmigungen durch die Stadtverwaltung. Einmal wöchentlich kommen Kinder der Grundschule zum Schlänitzsee und werden dort von den Jugendlichen in kleinen Arbeitsprojekten begleitet sowie verpflegt. LehrerInnen und andere Interessierte nehmen an Fortbildungsveranstaltungen in der Jugendschule teil. Auch SchülerInnen und LehrerInnen aus anderen Schulen sind als Gäste für zukünftige Besuche vorgesehen.
Die Jugendschule wird seit ihrem Beginn mit großer Aufmerksamkeit von vielen Seiten begleitet und unterstützt. Die Stiftung Brandenburger Tor, die Robert-Bosch-Stiftung und die Helga Breuninger Stiftung fördern das Projekt ideell und mit finanziellen Mitteln. Viele sehen in der Jugendschule am Schlänitzsee einen Beitrag zur Überwindung der Krise in den deutschen Sekundarschulen, deren Lernerfolge für zu wenige Jugendlichen überzeugend sind und die den Ansprüchen einer komplexen Gesellschaft in einer globalisierten Welt zu wenig entsprechen. Oberstes Ziel der Jugendschule am Schlänitzsee ist es, die Fähigkeiten aller Jugendlichen in einer Gemeinschaft der Verschiedenen zu entdecken und zu fördern. Schulinnovation, inspirierendes und bewegtes Lernen in Natur und Kultur, die Ausprägung eines neuen Lernbegriffs, partizipative Kooperationsmodelle und die Verbindung des Lernzielkanons mit neuen Erarbeitungsformen sind Interessenschwerpunkte der Förderer.
Wirksamkeit und Nachhaltigkeit sind wesentliche Qualitätskriterien für die Entwicklung einer eigenen -unverwechselbaren – schulischen Biografie.
Die Jugendlichen der Montessori-Schule schließen ihre Schulzeit nach 10 Jahren und nach zentralen Abschlussprüfungen überdurchschnittlich erfolgreich ab. 60-70% wechseln anschließend auf weiterführende Schulen. Auch die beruflichen Bildungsgänge absolvieren sie erfolgreich. Motivation, Frustrationstoleranz, Aufmerksamkeit, Teamfähigkeit, soziales Verhalten, und Kreativität sind sichtbare Fähigkeiten, die sie entwickelt haben und die ihnen nachgesagt werden, besonders auch von der Potsdamer Voltaire-Gesamtschule, auf die viele Jugendliche nach der 10. Klasse wechseln und die seit Jahren unser Kooperationspartner ist.
Das Gelände am Schlänitzsee ist bereits heute – auch ohne die notwendige Entsorgung aller Altlasten- nachhaltig rekultiviert worden. Zukünftig und für andere staatliche Schulen wird es um verschiedenste Außenräume gehen, in denen Jugendliche unter Anleitung Verantwortung übernehmen können.
Die Jugendschule am Schlänitzsee ist ein Prototyp neuer Schule für Jugendliche. Neues Lernen kann nicht kopiert und übertragen werden ohne die Menschen vor Ort zu beteiligen. Erst dann entsteht etwas Eigenes, Individuelles, das mit dem Ort und den Menschen untrennbar verbunden ist. Sie erfordern eine Verantwortungsgemeinschaft von Politik und Zivilgesellschaft und gelingen nur in einer Kultur der Beteiligung. Dafür gilt es ungewöhnliche Allianzen einzugehen und Finanzierungsmodelle zu entwickeln, die Schulen auf ihrem Weg zur Selbstständigkeit unterstützen.
Zwischen Schule und Jugendschule ist ein fließendes Miteinander entstanden. Erfahrungen sind die Basis für Theorie, Wissen entsteht durch und mit Erfahrung. Fortbildung und Ausbildung in einer Akademie für Lehrerbildung sind fester Bestandteil des Projekts. Bis zu 40 Schulen aus der Region, aus anderen Bundesländern und Nachbarländern nehmen an einem umfassenden Schulentwicklungsprozess teil. Jede Schule entwickelt an ihrem eigenen Ort ihre eigene Biografie einer jugendgerechten Schule. Durch wissenschaftliche Begleitung, Veröffentlichungen, Fortbildungen und Hospitationen werden Auswirkungen auf das allgemeine Bildungssystem spürbar.
Die Jugendschule trägt sich ökonomisch weitgehend aus eigener Kraft (Gästebewirtung, Verkauf von Produkten, Elternanteil, Anteile aus kapitalisierten Mitteln der Schule, erwirtschaftete Mittel aus Fortbildungen, Fördermittel und Stipendien). Die Jugendlichen können immer längere Zeiten vor Ort oder an erweiterten Praxisorten verbringen.
Verschiedene Experten vertiefen die Erfahrungen, erweitern das Wissen und entwickeln gemeinsam mit den Jugendlichen und den LehrerInnen die Jugendschule immer weiter.
Herzlichst,
Ben Wissler